Die Hillerheide einst und jetzt - Der "geographische" Mittelpunkt

Verhältnismäßig spät ist der Stadtteil Hillerheide im Rahmen der städtischen Gesamtentwicklung zu Bedeutung gelangt. Jahrhundertelang war die Hillerheide nämlich ein Teil des großen Bruches, welcher sich in einer Tiefe von mehreren Kilometern von Süden nach Norden zwischen dem jetzigen Stadtteil Recklinghausen Süd und dem alten Recklinghausen erstreckte. Aus dem Hinterbruch entstand der Ort Bruch, dem später der Name Süd gegeben wurde, während das Vorderbruch, der Raum der jetzigen Hillerheide, keine namentliche Erinnerung ausser der Teilbezeichnung „Saatbruch” hinterlassen hat. Das Vorderbruch teilte sich in mehrere Sonderbezirke auf, die alle, mit Ausnahme des erwähnten Saatbruchs, keine Bezogenheit auf den Gesamtnamen aufweisen. So die Ovelgönne, der Hohenhorst, die Hillerfeldmark und die Hillerheide. Der Ursprung dieser Flurnamen ist leicht zu erklären. Während die Deutung der Flurbezeichnung „Blitzkuhle” schon einige Schwierigkeiten bereitet. Diese Flurbezirke, denen der Volksmund den Namen „Staaten der Hillerheide” verliehen hat, leben noch heute teils in Straßennamen, teils in Flurbezeichnungen weiter.


Der Flurbezeichnung „Hillerheide” blieb es allerdings vorbehalten, dem späteren Stadtteil den Namen zu geben. Es ist jener Bezirk, der lange Zeit der Bauernschaft von Hillen (jetzt Recklinghausen Ost), der ältesten Siedlung weit und breit, als Almede und Gemeinschaftsvermögen gehörte. Im Besitz der Stadt befanden sich viele Gemarkungen des Vorderbruchs, da im Gegensatz zum Hinterbruch hier die Parzellierung nicht durchgeführt wurde. Die Städter des alten Recklinghausen benutzten diese Bezirke als öffentliche Kuhweiden. Eine besondere Bedeutung kam dem Raum der jetzigen Hillerheide sonst nicht zu. Die Hellbecke, später Lechtape und dann Hellbach, trieb einige Mühlen, von denen eine auch im Vorderbruch gelegen war. Der Lechtapenhof, wohl der älteste Wohnbau auf der Hillerheide, im Jahre 1721 erbaut, mag mit der niedersten Mühle im Saatbruch jahrhundertelang die ganze Besiedlung der Hillerheide ausgemacht haben.


Die langsam einsetzende Besiedlung sah im Jahre 1800 in den „Staaten der Hillerheide” 13 Ansiedler verteilt. Diese Ansiedler betrieben kleinere Landwirtschaften und stellten den eigentlichen Grundstock der Besiedlung dar. Verkehrsmäßig hat die Heide mit dem Bruchweg, der von der Altstadt über den Hohenhorst zum Hinterbruch und von da über die Emscher ins Märkische führte, die Verbindung zwischen Recklinghausen und Bochum hergestellt. Die Ursache, dass trotz des Baues der Kunststraße um 1848 (heute die Bundesstraße 51) die Hillerheide als Siedlungsgebiet wenig begehrt war, war wohl darin zu suchen, dass die Unwirklichkeit des Geländes zu groß war. Noch im Jahre 1880 zählte sie kaum 90 Seelen. Doch fühlte sich diese Handvoll Menschen stark mit dem Boden und der Hillerheide verwurzelt. Sie blieb es auch, als um die Jahrhundertwende mit dem kräftigen Wachsen des Bergbaues am Rande der Hillerheide, der Errichtung der Straßenbahn Herne — Recklinghausen und der Gründung des Eisenwerkes Stolle, der Stadtteil Bevölkerungszuwachs erhielt. Immer aber noch bot die Hillerheide das Bild einer Streusiedlung, bis mit der Errichtung des Eisenbahnausbesserungswerkes, auf einem von der Stadt zur Verfügung gestellten 200 000 qm großem Raum in der alten Flur Hillerheide, die Besiedlung planmäßig einsetzte. Die Bediensteten dieses Werkes, mit dessen Bau im Jahre 1907 begonnen und dessen Betrieb bereits im Jahre 1909 eröffnet wurde, setzten sich im Stamm aus Eisenbahnern zusammen, die zumeist aus dem Münsterland und dem Paderborner Land stammten. Der Eisenbahn-Bau- und Sparverein war es, der, für diese seine Mitglieder, auf der Hillerheide in stärkstem Maße Wohnungen baute.


Eine weitere städtebauliche Entwicklung wurde durch den 1. Weltkrieg unterbrochen. Diese wurde jedoch schon bald nach Eintritt besserer Wirtschaftsverhältnisse nach 1920, vornehmlich aber nach dem Abzug der französischen Besatzung, kraftvoll wieder vorwärts getrieben. Die Berliner Firma Vowinkel errichtete im westlichen Teil der Hillerheide ein größeres Sägewerk mit Holzlager. Mit Hilfe der Stadt wurde die alte Galoppbahn neu hergerichtet. Ein neuer Tribünenbau vollendete dieses Aufbauwerk, so dass in den Jahren 1926 und 1927 wieder Galopprennen auf der alten Turfstätte ausgetragen werden konnten. Später wurde die Bahn in eine Trabrennbahn umgewandelt, die von Anfang an Massenbesuch aufwies und die auch wiederholt im Zeichen anderer Sportveranstaltungen mit Ballonaufstieg und Kunstflügen, mit Segelflug und Autorennen von sich reden machte. Von da ab wurde die Hillerheide gern für die Durchführung von zentralen Darbietungen in Anspruch genommen. Der Vorplatz der Rennbahn wurde zu einem beliebten Ort für großcircensische Veranstaltungen. Auch der, inmitten der Rennbahn gelegene ehemalige Sportplatz, sah wiederholt repräsentative Sportveranstaltungen rund um den Lederball. So rückte der Stadtteil Hillerheide zusehends mehr in das Blickfeld der Gesamtstadt. Die Errichtung der Becorit-Werke an der Werkstättenstraße sowie etwas später die Gründung der Laarmann-Werke an der Blitzkuhlenstraße, des ersten Textilwerkes in Recklinghausen, waren Marksteine in der Entwicklung des Stadtteils Hillerheide. Mit diesen Großwerken sollte der Start gegeben werden zu einer endgültigen Umwandlung der Recklinghäuser Wirtschaftsstruktur. In den Jahren bis 1939 war der Stadtteil Hillerheide kräftig gewachsen. Neue Viertel waren entstanden, so vor allem die Umgebung des Gertrudisplatzes, die Herner Straße und die Umgebung des Eisenbahnausbesserungswerkes. Ferner das Wiener-Viertel und zahlreiche kleinere Wohnblocks an den Grenzen des Stadtteils. Zu einem Verkehrsknotenpunkt wurde die Hillerheide durch den Bau der Autobahn und der Errichtung einer eigenen Auffahrt. Doch der Ausbruch des 2. Weltkrieges bot der Weiterentwicklung Einhalt.


Aber einen ungeahnten Aufschwung der Entwicklung brachte die Beendigung des 2. Weltkrieges mit sich. So wuchs u. a. die Bevölkerungszahl ständig. Rund 12 000 Einwohner zählt heute der Stadtteil, dessen Flächenraum im Süden von der ehemaligen Zechenbahn König-Ludwig, im Norden von der Bahnlinie Hamm-Oberhausen, im Westen von der Eisenbahnstrecke Münster-Wanne und im Osten von der Bahnlinie Oberhausen-Hamm begrenzt wird. Ovelgönnestraße, Werkstättenstraße Maybachstraße, Nelkenweg, Kreymühlenweg, Lechtaper Weg, Hillerfeldmark bilden mit den Becorit-Werken und dem ehemaligen Eisenbahnausbesserungswerk dieses Viertel. In dem Raum zwischen Blitzkuhlenstraße im Norden, der ehemaligen Zechenbahn König-Ludwig im Süden, Herner Straße im Westen und Rennbahngelände im Osten, erstreckt sich ein weiterer Kernpunkt mit dem Gewerbegebiet Blitzkuhle, der Rennbahn, der Autobahn-Auffahrt und dem Einkaufszentrum „Jumbo” als besondere Punkte. Herner Straße, Moselstraße, Weserstraße, Theodor-Esch-Straße, Getrudisplatz, Heidestraße, Birkenweg, Blitzkuhlenstraße und Am Sattelplatz, sind hier die wesentlichen Straßen. Doch noch ein dritter Siedlungskern umfasst das Flächengebiet. Es bildet sich von der Hohenhorst im Westen, Herner Straße im Osten, der ehemaligen Zechenbahn König-Ludwig im Süden und dem Hohenhorster Weg im Norden. Die Salzburger Straße, Bozener Straße, Egerstraße, Grazer Straße, Linzer Straße, Innsbrucker Straße, Karl-Still-Straße, Körner Straße, Tiroler Straße und Wiener Straße, machen in Verbindung mit Werken der Textil-, Kunststoff-, Autobranche, des Industriebaues und des Dienstleistungsgewerbes dieses Viertel aus. Hier liegt ein wirtschaftlicher Schwerpunktdes Stadtteils Hillerheide mit einer Massierung von Werken.


Aber das Herz der Hillerheide, wenigstens in der Gesamtstadt am offensichtlichsten, schlägt im Rennbahn-Viertel. Hier ist es zunächst die Rennbahn selbst, die in der vielfältigsten Weise den Namen „Hillerheide” in die Weite trägt. Die im Jahre 1905 angelegte Bahn, ursprünglich war ihr Standort in der Hohenhorster Heide (vor 1905), ist in den vergangenen Jahren zu einer A-Bahn erklärt worden. Mit ihren über 50 Trabrennveranstaltungen im Jahr ist sie für den Trabersport zu einer bedeutsamen Zentrale geworden. Sie war die erste Bahn im Westen, die mit einer großzügigen Tiefstrahler-Anlage versehen wurde, die eine Abhaltung von Rennen auch bei Dunkelheit ermöglicht. Eine großräumige neue Tribüne vervollständigt den guten Eindruck der Anlage, die seit kurzem auch über einen Golfplatz für „Jedermann” im Innenraum des Geläufs verfügt.


Trotz Auslagerung vieler Unternehmungen, so wurde u. a. das Eisenbahnausbesserungswerk mit ca. 2000 Beschäftigten nach Duisburg verlegt und das Eisenwerk Stolle und die Laarmannwerke, gaben die Hillerheider in Verbindung mit der Stadtverwaltung nicht auf. Die freien Plätze wurden durch neue Ansiedlungen wieder zu neuem Leben erweckt.


Ein Blick auf die Karte zeigt, dass die Hillerheide mit der Zeit zum geographischen Mittelpunkt der Gesamtstadt Recklinghausen geworden ist. Sie liegt in der Mitte zwischen den beiden großen Stadtteilen Süd und Altstadt, hat schöne und schattige Verkehrsbänder und nahe Verbindungen mit den westlich und östlich gelegenen Stadtbezirken. Die Bundesstraße 51 sowie die Autobahn-Auffahrt für Recklinghausen und Herne machen allerdings diesen Stadtteil auch zu einem mit Verkehr überlasteten Bezirk. Trotz allem aber hat sich die Hillerheide ihren landschaftlichen Schmuck bewahrt. Nicht nur die im Grünen liegende Rennbahn schafft eine besondere Atmosphäre, sondern auch die großartigen Waldungen der Hohenhorst mit ihren verträumten, lauschigen Wegen, machen den Stadtteil zu einem beliebten Ort. Die Hohenhorst ist der größte zusammenhängende Waldbesitz der Stadt Recklinghausen, eine Lunge der Gesamtstadt. Von den „Staaten” bis zum geographischen Mittelpunkt, dem aber auch in mancherlei anderer Hinsicht zentrale Bedeutung zukommt, führte ein langer Weg von über 80 Jahren. Es war keine sprunghafte Entwicklung, die hier das Urbild verändert hat, sondern alles ist in langsamer Entwicklung geworden, und das zum Segen für den Stadtteil Hillerheide, der auf diese Weise vor den landschaftlichen Schäden so mancher Industrieviertel bewahrt wurde.


Mögen die Hillerheider und die Stadtväter weiter so eine positive Entwicklung für „unseren” Stadtteil im Auge behalten.